- Project Runeberg -  Kyrkohistorisk Årsskrift / Tjugusjätte årgången, 1926 /
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(1900)
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Full resolution (JPEG) - On this page / på denna sida - I. Undersökningar - Peter Josef Wagner, Über die Beziehungen zwischen Morgenland und Abendland in der mittelalterlichen Musik

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MORGEN- UND ABENDLAND IN DER MITTELALTERLICHEN MUSIK I 6 5

Gradualien, stehen die Koloraturen regelmässig auf den letzten
Wortsilben und zwar unmittelbar vor einer logischen
Interpunktion, dort also, wo wir ein Komma, einen Strichpunkt,
Doppelpunkt, einen Punkt machen, d. h. die Koloratur hat
Interpunktionsbedeutung. Sieht man genau zu, so beobachtet man, dass
viele Melismen im Laufedes Kirchenjahres zu häufiger Verwendung
gelangen, und zwar gibt es in jeder Tonart und in jeder
Gesangsgattung eine Reihe von Vokalisen, die immer wiederkehren,
regelmässig aber nur in derselben logischen oder
Interpunktionsfunktion, d. h. ein Kommamelisma steht niemals als
Doppei-punkt- oder Finalmelisma. Die alten Sänger hatten so einen
Schatz von ungefähr 50 Melismen, die an den logischen
Ruhepunkten eingesetzt wurden und zwar auf den letzten Wortsilben,
nicht etwa den Akzentsilben.1

Das ist ein unsern künstlerischen Anschauungen stark
zuwiderlaufendes Verfahren. Woher stammt es? Unmöglich aus
der lateinischen Kirche, denn wir wissen heute, dass die
östlichen Liturgien ohne Ausnahme dieselbe Technik kennen und
ausüben. Da aber die Griechen, Syrer, Armenier, Kopten u. a.
sie sicher nicht von den Lateinern übernommen haben, bleibt nur
die umgekehrte Annahme übrig: die Lateiner haben sie von den
orientalischen Sängern, und zwar muss sie sehr alt sein, denn
sie findet sich sogar bei den Juden, auch denjenigen, die im
Laufe der beiden Jahrtausende nach der Zerstörung des Tempels
niemals mit christlichen Gemeinden in dauernde oder nahe
Beziehung gekommen sind, wie z. B. die Juden im Lande Jemen in
Südarabien.2 Man kann dem Schluss nicht ausweichen; die
melismatische Interpunktion ist ur- und vorchristlich, ja
syna-gogal. Man muss aber noch weiter zurückgehen und sagen:
sie ist primitiv, ein Rest der ältesten künstlerischen Arbeit und
Versuche der Menschheit. Die Untersuchungen, die Rob. Lach
während des Weltkrieges an zahlreichen Gefangenen
russischasiatischer Herkunft vornehmen konnte3, haben sie bei diesen
Naturvölkern festgestellt, und bei uns kann ein jeder Ähnliches

1 Vgl. die ausführlichen Nachweise bei Wagner, Gregorianische
Formenlehre (Einführung in die gregorianischen Melodien Bd. III).

2 Vgl. die Singweisen solcher Judengemeinden in Idelsohn’s
Hebräisch-orientalischem Melodienschatz, bereits in Bd. I, der die Singweisen der Juden
im Lande Jemen enthält.

3 Vgl. a. a. O.

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