- Project Runeberg -  Der Tod eines Dichters /
Feuilleton

(1912) [MARC] Author: Aage Madelung
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Feuilleton.
Der Tod eines Dichters.



Es ist gut, daß der Mensch sterben muß. Es ist
die einzige Gerechtigkeit auf Erden. Der Nachruf ist
das Gewissen des lebenden Menschen und das Urteil
des Ueberlebenden über den Toten. Wenn es eine
ursprüngliche Form von Gewissen gibt, so ist es dies
Vorausempfinden des Nachrufs. Und wenn es ein
gerechtes Urteil auf Erden gibt, so ist es das der
Ueberlebenden über die Toten. Hier wirken Dinge,
die über dem kleinen menschlichen Ziel in diesem
kurzen Leben sind. Der Nachruf ist die einzige
haaresbreite Ewigkeit, deren wir uns zu bemächtigen
vermochten, der einzige ethische Wert höherer Ordnung.
Hier sondert sich das Edelmetall von den Schlacken,
das Wesentliche scheidet sich vom Unwesentlichen. Die
großen Linien treten perspektivisch hervor aus dem
Wirrwarr der Zeichnung. Man hat die Dinge im
Abstand vor sich.

Mit Herman Bangs Tod haben wir nun
sein Leben in dem Abstand vor uns, wo nur die
großen Linien sich geltend machen. Sein Nachruhm
ist der eines großen und gutes Menschen. Und er Hat
sicher selbst im Glauben an diese Unvergänglichkeit
gelebt, auch wenn er oft bittern Grund hatte, sich
über das Land zu beklagen, das jetzt stolz ist auf den
toten Dichter.

Herman Bang ist nämlich nicht Däne im
gewöhnlichen Sinn. Er war weder Bauerndichter,
Sozialist oder Innerer Missionär. Er war ein Dichter
der Verfeinerung, Excentriker, Aristokrat und
gottlos, ein Virtuos fremden Aussehens, als stammte sein
Geschlecht nicht durch viele Glieder hindurch von
dänischer Erde, sondern aus den Donaulanden, der
Heimat der seltsamen, dunkeläugigen Virtuosen.

Typisch für Dänemark war er nicht. Er hatte weder
Sinn für Bakon(Schinken) oder Butter, die gewohnten
Waren des dänischen Marktes, noch für Bauernkultur
überhaupt. Er exportierte in alle Welt hinaus
schimmernde Schilderungen seiner selbst, seines eigenen
Geschlechtes und fremder Geschlechter im Zerfall,
spielte in den Salons von Europa eine Danse
macabre
für die Gerippe hinter dem gedeihlichen,
aber ach, so vergänglichen Fleisch. Er war Artist,
Virtuos und so ganz Mensch. Kein dänischer Künstler
war so mildhändig wie Herman Bang. Man sagt,
daß arme Menschen bei ihm Hilfe suchten und
fanden in einem Umfang, daß seine großen Einkünfte
stets zu klein waren. Wenn er auf andere Weise
nicht geben konnte, so gab er zugunsten Notleidender
eine Vorlesung. Und er las vor vollen Häusern. Er
war Dänemarks größter Virtuos als Vorleser und
Vortragskünstler.

Totenstill war es im Saal, wenn er eintrat. Auf
dem Podium stand ein Tisch und ein Stuhl. Er
ging langsam zum Stuhl hin, verbeugte sich leicht,
setzte sich, schlug ein Bein übers andere, streifte
zögernd die perlgrauen Handschuhe von den kleinen
Händen, während sein tiefer und dunkler Blick all
die gespannten, erwartungsvollen Augen sämtlicher
Zuhörer in sich sammelte. Und plötzlich fing er an, in
das Schweigen hinaus zu reden. Der kleine, schwache
Körper bebte vor Leben, ward von Feuer
durchglüht, die Stimme stieg und sank, jeden Tonfall,
jede Stimmung beherrschend. Er erhebt sich, er geht
auf und ab wie auf einer Bühne, dreht dem Zuhörer
den Rücken zu, greift krampfhaft nach dem Stuhl,
läßt ihn wieder los und preßt die Hände
gegeneinander, führt das Taschentuch an die Augen,
während jeder Nerv bebt unter der meisterlichen
Improvisation des Spiels. Die Gestalten treten leuchtend
vor und bevölkern den Raum. Herman Bang ist
nicht mehr; an seiner Stelle steht die alte, arme
Tänzerin, die Tänzerin Irene Holm.

Herman Bang hat die größte noch lebende
Schauspielerin Dänemarks unterrichtet; die Duse, die
Réjane haben ihn bewundert. Er hat zeitweise an zwei
Theatern als Inszenator gewirkt, für zwanzig
Zeitungen geschrieben, Bücher herausgegeben, draußen
und daheim Vorträge gehalten, und hatte dennoch
Zeit, Rat und Hilfe zu geben, wenn man bei ihm
anklopfte. Er besaß große diplomatische Gaben,
verstand es, mit Menschen umzugehen, die seine
Widersacher waren, und gewann alle, die ihn persönlich
kennen lernten, durch die Feinheit und Vornehmheit
seines Wesens. Und trotzdem hatte er Feinde. Wohl
einfach, weil er Herman Bang war, der
Ungewöhnliche, der Ungemeine. Aber seine Feinde sind
verstummt jetzt, so wie er selbst.

Wie Herman Bangs Leben ungewöhnlich war,
so fand er auch seinen Tod auf ungewöhnliche Weise.
Man fand ihn bewußtlos in einem Expreßzug nicht
weit von der Stadt Ogden in Utah. Hier starb er an
eier Lungenblutung, ohne wieder das Bewußtsein
erlangt zu haben, starb als der fremde, reisende
Virtuose in einem Land, das er nie gesehen hatte.

Er sollte nicht selbst die Erde umreisen. Seine
Werke machen die Reise für ihn. Sein schwacher
Körper, der eine so gewaltige Arbeit geleistet, so viel
Leben in sich aufgenommen und widergespiegelt
hatte, ertrug die wechselnde Luft einer
Weltumseglung nicht.

Wäre er nach der Reise Heimgekehrt — sicher
hätte er uns neue Werke gebracht, neue Wiedergaben
von fernen, exotischen Ländern und Menschen,
herausgeschaffen aus seinem tiefen Mitfühlen für die
stillen und seltsamen Geschicke. Aber nur sein
Leichnam kommt nun zurück. In Ogden ist er
einbalsamiert und in den Sarg gebettet worden. Seine
Freunde und Verehrer lassen ihn über den Ozean
heimführen nach Dänemark.

Vor zehn Jahren hat er seinen letzten Willen
niedergeschrieben und ihn einem Freund zur
Aufbewahrung gegeben. Er sagt darin nichts von seinem
Vermögen; da er selber wohl kaum je damit gerechnet
hat. Er bittet, daß man ihn in dem großen
Baumgarten des Gutes „Bangsbo“ in Vendsyssel
beerdigen soll, das dereinst nahen Freunden von ihm
gehörte. Keiner sollte ihn geleiten, keine Blumen
sollten den Sarg schmücken. Und doch liebte er die
Menschen, heiligte sein Leben zu einer einzigsten
brennenden Anbetung menschlicher Rede und
schmückte sich selbst mit Blumen.

Das ist jetzt der dritte Große im 20.
Jahrhundert, den Dänemark in Vendsyssel begräbt: die drei
sind: Holger Drachmann, Kroyer und Herman Bang,
Die beiden ersten liegen am Skagenstrand, beim
offenen Meer, das sie priesen in Wort und Farben.
Herman Bang wird unter dem grünen Gras im
Garten von „Bangsbo“ liegen.

Aber noch eins stand in Bangs letztem Willen.
Er wollte nicht, daß eine Photographie oder
Totenmaske von seiner Leiche genommen würde; und

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