Full resolution (JPEG) - On this page / på denna sida - I. Undersökningar - Tor Andræ, Der Ursprung des Islams und das Christentum. III. Die eschatologische Frömmigkeit Muhammeds (forts.)
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1 oo
TOR ANDRAE
8. Der Seelenschlaf.
Es ist für die semitische Anthropologie charakteristisch,
dass sie die Vorstellung von einer nach dem Tode
fortlebenden Seele nicht kennt. Dass keine von den beiden
Seelenvorstellungen, weder das animale Lebensprinzip (nefes) noch die
»Machtseele» {rüah) geeignet ist, nach dem Tode des Menschen
fortzuleben, ist freilich eine Denkweise, die die Semiten mit
vielen anderen Völkern der Erde teilen. Aber gewöhnlich wird
dann eine andere unter den Seelen des Menschen bzw. ein
besonderes nach dem Tode des Menschen auftretendes
Seelenwesen als Träger der fortgesetzten Existenz gedacht. Auf
semitischem Boden wird aber ursprünglich überall der Gedanke
des Fortlebens an den ganzen Menschen, so wie er auf Erden
war, geknüpft. In der »grossen unterirdischen Wohnung» (kigal)
in der »finsteren Wohnung» (unugi) (die Ausdrücke bezeichnen
im Babylonischen Grab und Unterwelt zugleich), im Scheol,
das wie ein gewaltiges Grab gedacht wird, führt der Tote,
ungetrennt von seinem irdischen Leib, in Moder und Staub ein
unheimliches, träges und starres Leben. Will man den Toten
ganz vernichten, so zerstört man die Leiche oder streut das
Gebein weit umher.1 Der arabische Held wohnt in irgend einer
Weise leibhaftig im Grabe, dort opfert man ihm die Kameele,
stattet ihm Besuche ab und verlangt sogar Gastfreiheit von
ihm (Hälttu). Ein Wort wie nafs, ruh oder gar ginn Hesse
sich hier unmöglich für den Toten einsetzen. Die höheren
Jenseitshoftnungen mussten sich daher in den semitischen
Religionen andere Glaubenswahrheiten schaffen als die
Vorstellung von einem Fortleben der unsterblichen Seele, etwa die
Entrückung des noch Lebenden oder »lebendigen Toten» auf
1 R. Kittel, Die Religion des Volkes Israel (1921) 79. Sonderbar
genug bezeichnet Kittel, a. a: O., 82, (wie vor ihm Stade, Biblische
Theologie, 183, dies als ein »Stück amnestischer Weltanschauung.» Der
altisraelitische Totenglaube ist vielmehr ein klassisches Beispiel präanimistischer
Jenseitsvorstellungen. Die Spuren animistischer Vorstellungen (i’föim, ginn?)
sind höchst unsicher und schwer zu deuten. Dass die ginn in vorislamischer
Zeit als Totengeister aufgefasst worden seien, halte ich (trotz Wellhausen,
Reste, 150 ff.) mindestens für unsicher. Die häma (Totenvogel) gehört nicht
hierher. Das ist ein Stück primitiven Verwandlungsglaubens von derselben
Art, als wenn der Tote in dem auf dem Grabe wachsenden Baume
wiedererkannt wird.
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